Wie einige bereits vernommen oder gar mitverfolgt haben:
El Patrone hat es geschafft!!!
In sagenhaften 66 Stunden und 22 Minuten!
Und das bei wahrlich nicht einfachen Bedingungen, wie 900km Alleinfahrt, Starkregen am Dienstag, auch nachts, mentale und körperliche Tiefpunkte, aber er hat es geschafft.
Viele andere leider nicht, sehr viele.
Die Ausfallquote war wegen der Wetterbedinungen extrem hoch. Insgesamt 1700 Randonneure gaben ihre Stempelkarten an den Kontrollstellen ab. Zu leicht ist es für die, die ein Begleitfahrzeug haben, dort einzusteigen. Andere überlegen sich besonders gut, ob sie aufgeben sollen. Einen Besenwagen gibt es nicht. Da muss sich jeder selbst kümmern. Die Zugstrecke liegt meist ca. 80km entfernt. Es gab sicherlich viele Tränen beim diesjährigen Paris-Brest-Paris, Tränen die einfach nicht zurückgehalten werden konnten, wenn ein großer Traum platzte. Schließlich gibt es nur alle 4 Jahren die Chance, die Vorbereitung dauert das ganze Jahr, die Qualifizierungen, das erforderliche Attest vom Arzt für eine Teilnahme, das Zittern, ob man bei der Anmeldung alles korrekt beigefügt hat und das Warten auf seine Startnummer, die Fahrt nach Paris... das geplante Radrennen wurde für viele doch zur Stadtbesichtigung von Paris. Und für manchen war der Traum schon sehr schnell vorbei. Ingo z. B. riss bei km25 der Schaltzug. Der Versuch, mit dem kleinen Kettenblatt an irgendwelchen Gruppen dranbleiben zu wollen erwies sich schnell als schmerzlicher Fehler. Die Knie machten ihm klar, dass es so nicht funktioniert, aber da war es auch schon zu spät, um sich auf eine andere Lösung einzustellen.
Oder Manfred, bei der Busfahrt nach Paris war er aufgekratzt ohne Ende. Er hatte ein eigens entworfenes T-Shirt für P-B-P an, aber er redete auch viel vom RAAM. Bei km400 war für ihn Schluss. Knieschmerzen - er hatte vorher nie welche. Bei der Rückfahrt war Manfred traurig still.
Ein zweiter Manfred musste bei km1050 passen. Besonders tragisch, denn hätte er eine Halskrause zur Hand gehabt, wäre er das Rennen zu Ende gefahren. Er konnte einfach seinen Kopf nicht mehr heben, das erste Mal seit er Langstrecken fuhr. Solche Kandidaten gab es übrigens viele. Etwa ein Fünftel kam mit wilden Konstruktionen ins Ziel, die das Kopfheben "erleichterten".
El Patrone machte mental wie körperlich wie viele andere auch alles durch...
Aber fangen wir von vorne an :-)
Samstag, 18.8.
Um nach Paris zu gelangen, hatten wir uns bei einer Mitfahrgelegenheit in einem Reisebus eingebucht. Wir wurden in Ansbach aufgelesen. Dort lernten wir auch Ingo und noch einen "Harten" kennen. Der kam aus dem 100km entfernten Geroldshofen angeradelt und hatte die verbliebene Zeit am Autohof übernachtet. Zum besseren Verständnis: Er ist bereits am Abend vorher um 19 Uhr mit 20Kilo-Rucksack inklusive Campingausrüstung von dort gestartet...! Nachdem man sich miteinander bekannt gemacht hatte war die erste Frage von Ingo: Was habt ihr denn dabei? Der "Harte" sagte, er hätte Guarana dabei. Zitat: "Mit Guarana geht man so richtig ab, wenn man müde ist!" Ingo meinte er hätte Koffeintabletten dabei. Jürgen traute seinen Ohren nicht. Was ist denn hier los? (Dr. Fuentes? ;-) Er hatte natürlich nichts dabei - nicht mal eine Aspirintablette.
Der Bus kam mit einer halben Stunde Verspätung. Die Räder wurden in dem dafür vorgesehen Anhänger verstaut und los gings. Es war ein wildes, aufgeregtes Geplapper im Bus, dabei lag die Frauenquote bei unter 5%! ;-)
Elisabeth fuhr zum 2. Mal bei P-B-P mit und eine andere Frau begleitete samt Kinder ihren Gatten. Ich hatte eigentlich gehofft, Anschluss an Frauen zu bekommen, die sich Paris anschauen wollten. Das wilde Geplapper war eine Mischung aus Tech-Talk, P-B-P-Geschichten, Erzählungen von Brevets und natürlich irgendwelchen Sprüchen, wie z. B. Manfred über das Streckenprofil von P-B-P machte: Es sehe aus wie ein Lügendetektor-Ausdruck von Tyler Hamilton. :-) Es war auf jeden Fall lustig und schön unter Gleichgesinnten zu sein. Karl Meixensberger, der die Busfahrt zum zweiten Mal organisierte, kam auf El Patrone zu: "Jürgen, Du warst der erste, der sich angemeldet hat, drum komm ich zu Dir als erstes..." Jürgen grinste. "Ihr seid's im Etap-Hotel untergebracht, wie einige andere auch, für Frühstück ist gesorgt..." meinte Karl mit seinem sympathischen oberpfälzischen Dialekt. Wie schön, dass sich jemand um alles gekümmert hat!
Gegen 19:30 fuhren wir auf dem Weg zum Hotel am Start-Ziel-Gelände vorbei, was viel Herzen schneller schlagen ließ. Wir waren müde, gingen mit 5 anderen Randonneuren aus dem Hotel zum Essen und fielen anschließend ins Koma... Es war eine harte Woche für uns beide. Ich war überarbeitet, Jürgen bereits ein Nervenbündel...
Sonntag, 19.8.
Wir waren die letzten beim Frühstück, aber wir blieben Dank Geselligkeit alle bis zum Schluss sitzen. Auf einmal begrüßte Karl ein weiteres deutsches Pärchen. Sie kannten sich vom letzten Mal und treffen sich jetzt hier zufällig im gleichen Hotel. Klaus war für die 90-Stunden-Gruppe gemeldet, das hieß Start am Montag um 21:30. Silvia war hier, um sich Paris anzusehen! Juhu, ich fragte sie gleich, ob ich mich ihr anschließen dürfte. Klar, alles roger - sowie unsere Jungs auf der Strecke sind, geht's los :-)
Nach dem Frühstück liefen Schneemann und Schneeflocke zum Start-Ziel-Gelände. El Patrone stöhnte beim Eintreffen. Er sei auf einmal so aufgeregt, wenn er das alles hier sieht und er kriegt Bauchschmerzen. Hm, da half weder Mut zusprechen noch sonstige Ablenkungsmanöver. El Patrone war ab sofort zu nichts mehr zu gebrauchen. Es war auch für mich sehr beeindruckend. Ein großes Banner wies auf das Ereignis hin. Viele Stände, von Warnwesten, über Pülverchen bis Lichter wurde hier alles verkauft.
Ländergruppen rotteten sich zum Fototermin zusammen und so war auf einmal alles voller Japaner in Radbekleidung. Einer hielt die japanische Flagge hoch. Es waren auch einige ältere Japanerinnen unter ihnen. Ich war mehr als beeindruckt, ja richtig ergriffen. Wir liefen weiter zum Sportplatz. Dort bot sich uns eine Räderschau sondergleichen - von der Rennmaschine, über "Dreiräder", Liegerädern in verschiedensten Ausführungen mit und ohne Verkleidung, Tandems, Tridems,... Ich fotografierte ganz aufgeregt die wildesten Konstruktionen.
In der Sporthalle selbst war die Hölle los. Hier wurden die Startunterlagen abgeholt. Die Stimmung war faszinierend. Ich kämpfte mehr oder weniger erfolgreich mit den Tränen. Ich war einfach überwältigt. Wir schauten uns die einzelnen Stände an, die Leute und deren Ländertrikots, es roch vielerorts nach Schweiß und ich hoffte, dass das mein Magen am Morgen gut vertrug. Viele waren mit dem Rad hier her gefahren.
Der Veranstalter hatte an der Tribüne alle Flaggen der Länder aufgehängt, die teilnehmen. Ich sah sogar Randonneure mit Puerto Rico Trikot, die sich mit Spaniern unterhielten. Wo die wohl ihre Brevets absolviert hatten?
Wir liefen wieder zurück zum Hotel. Jürgen war die Nervosität sichtlich anzusehen. Im Hotel angekommen, fing er an, seine Taschen am Rad zu befestigen und dessen Inhalt gut überlegt zu füllen. Er zog sich seine Radklamotten an und wählte natürlich das Deutschland-Trikot. So war er für andere Deutsche leichter erkennbar. In die Lenkertasche kamen 15 Powerbars, 5 Gels, Ersatzlampe, Taschentücher, 2 Radbrillen + Kontaktlinsenzubehör; in die vergrößerte Satteltasche das Werkzeug und Ersatzschläuche, Öl, warme Kleidung und Regenjacke. Er hob das Rad hoch und war alles andere als begeistert. Aber wenn die Powerbars aufgegessen sind, wird es leichter :-) Fertig gepackt fuhren wir diesmal mit den Rädern zum Start-Ziel-Gelände. Er bekam seine Startunterlagen und das P-B-P-2007-Trikot.
Die Radabnahme/Kontrolle sollte erst am nächsten Tag vor dem Start erfolgen. Um 17 Uhr war Fototermin für die Deutschen. Da es über 300 Starter waren, musste man auf den gegenüberliegenden Kreisverkehr ausweichen. Dort versagte unsere Kamera :-( Abends beim Essen fragte ich in die Männerrunde, ob irgendjemand einen Fotoapparat dabei hatte, welchen er nicht mit auf die Strecke nimmt. Ja! Horst lieh mir seinen! Ich war erleichtert. Bei Horst fällt mir ein... ich sollte was zu den ganzen Typen sagen...
Horst, 52 Jahre, erzählte, dass er bei P-B-P 2003 auf den ersten 300km einen 38er Schnitt hatte! Jürgen sah mich mit offenem Mund an... Zu Hause, fügte er hinzu, versucht er ab und an 200km mit einem 40er Schnitt zu fahren. Wir waren so fassungslos, dass wir vergaßen zu fragen, ob er es jemals geschafft hatte.
Ingo, 42 Jahre, war ein richtiges Greenhorn. Es war erst sein drittes aktives Rennrad-Jahr und traute sich an so etwas ran. Ich nannte das augenzwinkernd "respektlos". Auch Bernd, mit 27 Jahren weit vom 49-Jahre-Teilnahmedurchschnittsalter entfernt, hatte mit 3 Jahren Raderfahrung den gleichen Entschluss gefasst, es bereits dieses Jahr anzugehen.
Karl, 52 Jahre, aber wie 42 Jahre aussehend, nahm zum zweiten Mal teil und wünschte sich eine 60er Zeit.
Elisabeth kam mit ihren ca. 45 Jahren an den Altersdurchschnitt der Teilnehmerinnen ran. Was mich am meisten beeindruckte, war nicht sie, sondern ihr Rad, mit welchem sie die Strecke bewältigen wollte. Ein Eisenhaufen ohnegleichen, welches ich allenfalls als Stadtrad benutzen würde und auch nur dann, wenn ich die ganzen Plüschtiere vorher demontieren darf...;-) Hinzu kamen uralte lapprige Packtaschen, die sicherlich alles andere als wasserdicht waren.
Ich könnte an dieser Stelle endlos weitere Personen aufzählen, aber auch dieser Sonntag Abend hatte ein Ende. Es wird hier wesentlich später dunkel als in Deutschland. Schlafen konnten wir diese Nacht nicht mehr so gut.
Montag, 20.8.
Der Montag begann wieder mit einem ausgedehnten Frühstück, danach suchten wir nach einem Lebensmittelladen. Viele Läden hatten zu, weil deren Besitzer in Urlaub waren. Während der ganzen Zeit hatte ich nicht ein Stück Obst gesehen, keine Banane, nichts. In dem Vorort des Hotels hatten wir 2 geöffnete Lokale entdeckt, nicht mehr... Also marschierten wir ins Einkaufszentrum. Das war weiter als gedacht. Dafür gab es dann auch ALLES zu kaufen. Ich suchte aus und ließ El Patrone wiegen. Er war inzwischen einem Nervenzusammenbruch nahe. Lange konnte ich ihn hier nicht mehr festhalten. Ich musste mich beeilen. Wir liefen zurück und aßen bei dem soeben aus dem Urlaub zurückgekehrten Italiener um die Ecke des Hotels zu Mittag. Ich redete dem Schneemännchen immer wieder gut zu, aber nichts half, um seine Nervosität zu reduzieren. Aus dem Nachmittagsschläfchen wurde natürlich nichts, dabei wäre das bei dem 20 Uhr-Start so gut für ihn gewesen. Um 17:30 fielen wir nochmals beim Italiener ein. Jürgen hatte inzwischen unzählige Toilettenbesuche hinter sich. Er aß, obwohl er keinen Hunger hatte. Mich bat er, nichts Außergewöhnliches zum Essen zu bestellen, damit es schnell geht... Glücklicherweise kamen Karl mit ein paar anderen ebenfalls zum Essen und durch die Unterhaltung war er etwas abgelenkt. Auch Karl versicherte ihm eine gute Zeit, wenn er am Anfang nicht überzockte. Er meinte, er müsse sich langsam auf den Weg machen. Wir radelten zum Start. Am Tunneleingang wartete bereits eine riesige Radlertraube der 90-Stunden-Gruppe auf die Radabnahme und Einchecken. El Patrone wurde mit seiner Startnummer schnell durchgewunken - mich hielt man auf. Er bekam es nicht mit und so kämpfte ich mich am Tunnelausgang zu den Randonneuren hindurch. Aber an dem Tor zum Stadion ließ man mich abermals nicht durch. Ich wartete und hoffte, das er nochmal zurückkam, aber vergeblich. Er war einfach zu nervös und mit sich selbst beschäftigt. Die Ordner winkten alle 80-Stunden-Fahrer eilig durch. Ein Fotograf wollte genau wie ich in das Stadion. Seine Begründung war nicht plausibel genug. Ich sagte ihnen, dass ich mich nicht von meinem Mann verabschieden konnte und kämpfte mit den Tränen. Es half nichts. Sie zeigten auf den Kreisverkehr. Ich glaubte nicht daran, dass ich ihn am Start sehen würde und war todtraurig und konnte meine Traurigkeit letztendlich nicht mehr zurückhalten... Als ich mich damit abgefunden hatte, bewegte ich mich zum Start. Ich suchte mir ein Platz an einer Kurve. Es war aufregend und alles zog sich in die Länge wie Kaugummi. Dann der Startschuss um 20 Uhr für die ersten 500 Fahrer. Die Zuschauer jubelten. Ich suchte das Feld nach ihm ab, konnte ihn aber nicht entdecken. Auf einmal war Karl da und fragte, ob ich ihn gesehen hätte. Ich verneinte und erzählte ihm, dass wir uns nicht verabschieden konnten. Er meinte, ihn auch nicht gesehen zu haben und riet mir parallel zum Start zu laufen und dann zu suchen. Gute Idee! Karl half mir beim Suchen. Aber in der zweiten Startgruppe war er auch nicht. Ich resignierte. Wie viele Startgruppen gab es? Karl meinte 2. Aber nein! Eine dritte rollte ein. Ich suchte wieder das ganze Feld ab. Von vorne bis hinten. Ganz hinten am Rand entdeckte ich auf der gegenüberliegende Seite einen roten Helm. Ja, das war er! Ich hatte ihn gefunden! Karl rief ihm zu, dass wir rüber kommen. Es war ein Wiedersehen und Abschied zugleich. Wir waren beide froh, dass wir uns nochmal sehen konnten. Er meinte, die Ordner hätten ihn so schnell durchgewunken, so dass er dachte, er sei zu spät dran. Er war immer noch nervös. Die Radfahrer hatten alle ihre Lichter eingeschalten - ein tolles Bild. Der 3. Startschuss für die 80-Stunden-Gruppe fiel um 20:30 und die rote Lichterschlange zog davon. Ich war jetzt auch fertig mit meinen Nerven. Auf der gegenüberliegenden Seite entdecke ich Silvia. Ich ging zu ihr hinüber. Auch sie war angespannt und hatte die letzten Tage mit Klaus ähnliches durchgemacht, wie ich mit Jürgen. Um 21 Uhr starteten alle Sonderfahrräder, Tandems und dergleichen. Das war wieder interessant zu sehen, aber zu dunkel zum fotografieren. Um 21:30 startete die 90-Stunden-Gruppe und Silvia machte sich wie ich eine Stunde zuvor auf die Suche. Sie entdeckte Klaus ganz vorne in der ersten Reihe! Nach dem Startschuss kam sie wieder und wir verabredeten uns im Hotel, um dann auf den Schreck noch etwas gemeinsam trinken zu gehen. Aber um 22:00 hatte hier schon alles zu. Also zurück ins Hotel und direkt ins Bett. Für mich kam es ein wenig so vor, als wäre ich im Ziel ;-)
Das war jetzt mehr oder weniger meine P-B-P-Etappe.
Die eigentliche folgt... :-)
Schneeflocke