Montag, August 13, 2007

Die 600er Quali - Offenbarungseid

Nachdem der 400er so prima gelaufen ist, hatte El Patrone große Hoffnungen, dass der 600er ähnlich abläuft. Doch diese Rechnung hatte er ohne die Speedgruppe von Osterdorf gemacht. Es war das Härteste in jeder Hinsicht, was El Patrone in seinem Sportlerleben erlebt hat.
Die Strecke war sehr schön, aber bei dem Wetter ein echtes Brevet...

Die Quali fand am 17. Mai in Osterdorf statt. Der 400er lag also erst 5 Tage zurück. Aber das sollte nicht das Problem sein. Erinnert Ihr Euch an das Wetter des diesjährigen Vatertages? Die Temperaturen lagen bei regnerischen 6-11 Grad, nachts klarte es bei 1-2 Grad auf. Start war früh 7 Uhr bei leichtem Nieselregen. Lange Klamotten, lange Handschuhe und sogar Überschuhe waren angesagt! Es bildete sich wie erwartet die 10-Mann starke aggressive sportlich hochwertige Speedgruppe. Er wollte nicht so recht glauben, dass die 600km in ähnlicher Manier gefahren werden, wie die anderen Brevets. Aber so war es dann, von Anfang an ein Kampf in jeder Hinsicht.

Außerdem hat El Patrone viele Fehler gemacht:

1. Kontaktlinsen sind bei langen Regenfahrten nur bedingt tauglich.

2. Man ziehe niemals lange MTB-Handschuhe an, die man nur nach links ausziehen kann (Zeitfaktor). Er konnte damit nicht seine wärmere Jacke anziehen, ohne Gefahr zu laufen, die Gruppe zu verpassen.

3. Man packe doch seine Wechselsachen in der kleinen Gepäcktasche in eine kleine Plastiktüte, damit diese trocken bleiben. Somit hatte El Patrone bei nassen Klamotten + nassen Wechselklamotten + schwererem Rad gleich mal ein paar Kilo mehr die Berge hochzutragen.

4. Man folge immer der Wegbeschreibung, auch wenn diese anders ist als in den Jahren zuvor. Die Brevets finden jährlich statt und in Osterdorf gab es in den letzten Jahren keine Streckenänderungen. Beim 600er Brevet wurden Geheimkontrollen angekündigt. Bei km 90 kamen sie an eine Baustelle. Die Wegbeschreibung führte außen herum. Jörg meinte, es geht immer gerade aus. Also fuhren sie durch eine große Baustelle - das Wort Straße hatte dieser Streckenabschnitt nicht mehr verdient. El Patrone hatte hier mit seinem Crossrad Vorteile, weil sich seine Bremsen nicht zusetzten. Andere mussten anschließend zum Teil ihre Laufräder ausbauen, weil sich nichts mehr bewegte. Und jetzt kommt der Hammer und das Glück der 10er Gruppe: Der direkte Weg durch die Baustelle dauerte länger als die Umgehung. Was daran gut sein soll? Sie fuhren wieder auf andere Brevet-Teilnehmer auf und die meinten, es gab eine Geheimkontrolle. Jörg wollte es nicht glauben und ließ sich die Stempelkarte zeigen. Tatsächlich! Also mussten alle zurück und einen 10%igen Berg hoch, um sich den Stempel zu holen. El Patrone war stocksauer. An so einer Stelle die Geheimkontrolle zu machen, machte überhaupt keinen Sinn. Diese Kontrolle galt eher den Kollegen mit Navigationsgeräten und nicht den Abkürzern. Wäre die Gruppe durch die Baustelle schneller gewesen als die Nachkömmlinge hätte sie nie von der Geheimkontrolle etwas erfahren und wären erst nach den absolvierten 600km in Osterdorf davon in Kenntnis gesetzt worden! Man stelle sich mal das Drama vor, bei den Bedingungen! Es hätte keine Ausnahme gegeben! El Patrone war echt sauer!

5. Man esse, auch wenn man keinen Hunger hat. Kurz vor der zweiten Kontrollstelle bei km 190 ereilte El Patrone in nie da gewesener Geschwindigkeit ein Hungerast. Der Magen zog sich zusammen und suchte nach Essbarem. Aber da war nichts, kein Gel eingepackt, keinen Riegel. Nur die Hoffnung, das jetzt kein Berg kommt. Aber selbst da gab es kein Erbarmen - El Patrone sollte lernen. Man bog in einer Ortschaft ab und ein 13% erhebte sich in gefühlten 20% vor ihm. Er wurde so langsam in der Gruppe durchgereicht und verpasste den Anschluss. Oben am Berg folgte eine Hochebene und er sah die Gruppe noch. Der Gegenwind bließ ins Gesicht, es regnete und der Magen schrie nach Essbarem. Er dachte an seine Zeitfahren und befahl sich selbst, sich zusammenzureißen und kämpfte sich trotz Hungerast wieder an die Gruppe hin. Kurz nachdem der Anschluss wieder hergestellt war, kam die 3. Kontrollstelle. Jetzt hieß es Essen fassen - doppelt so viel wie die anderen. Das ging natürlich wieder mit einem Zeitproblem einher. Die 2. Semmel musste auf dem Rad gegessen werden. Jetzt fragt sich vielleicht einer, warum hat El Patrone nicht auf die nächste Gruppe gewartet. Da wären wir auch schon bei Fehler Nr.

6. Der neue Kartenhalter war nicht wasserdicht und beim Wechseln der Seiten, ahnte er schon, dass sich die Tourenbeschreibung in mehrere Teile auflöste. Also das nächste Mal doch die Ortlieb-Lenkertasche. Natürlich war auch der Ehrgeiz der Grund, in der ersten Gruppe dabei sein zu wollen.

Und so kämpfte sich El Patrone von Kontrollpunkt zu Kontrollpunkt, immer in dem Glauben, dass das in der Geschwindigkeit niemals gutgehen kann. Jeder Hügel wurde durchgedrückt, immer fing irgend ein anderer zum Spinnen an und zog das Tempo hoch. Inzwischen hatte es sich so richtig schön eingeregnet. An einem weiteren Kontrollpunkt im Chiemgau gab es einen Wolkenbruch. Das störte die anderen aber nicht. El Patrone machte den Vorschlag, abzuwarten, aber nix zu machen. Sie wollten echt weiterfahren. Glücklicherweise hatte jemand einen Platten und es konnte noch ein weiterer Kaffee getrunken werden. Auch der Vorschlag zu übernachten und morgen bei schönem Wetter (das war ja gemeldet) die restlichen 300km zu fahren, hätte er genauso dem Mond erzählen können. Es brachte bei Michael immerhin ein gewisses Maß an Verständnis im Bezug auf die Vernunft ein, aber es durchzuführen hielt er trotz einsetzendem Platzregen für absurd. Wären die Kontrollpunkte nicht immer Tankstellen gewesen, sondern Gasthöfe, hätte sich El Patrone sicher ausgeklinkt. Das Zeitlimit ist sehr großzügig angesetzt. Man musste das Ziel am nächsten Tag um Mitternacht erreichen.
Irgendwann wurde es dunkel und die Lampen wurden eingesetzt. Manche hatten ein mickriges Rücklicht, André seine Beleuchtung war so stark, das sie blendete. Die Abfahrten waren mit dem Regen und der Dunkelheit ein Glücksspiel - einfach dem Rücklicht des Vordermannes hinterher. Die Bremsen mussten durch den hohen Verschleiß nachgestellt werden. Die Schaltung ging auch schwerfällig. Aber der Wetterbericht hatte ja für den nächsten Tag schönes Wetter gemeldet und so klarte es nachts um 2:00 Uhr auf. Mit dem Aufklaren sank die Temperatur nahe der Null-Grad-Grenze. Aber so richtig kalt wurde es trotz nasser Klamotten bei der Geschwindigkeit nicht. Nur die Finger waren schon so klamm, dass El Patrone nicht mehr schalten konnte. Die nachlassende Kraft war natürlich auch ein Grund. Es kam Nebel auf und die Geschwindigkeit wurde kurzzeitig aber nicht nennenswert heruntergefahren. Durch die Anspannung bekam El Patrone starke Nackenbeschwerden. Irgendwann gab es durch beide Arme wie elektrische Schläge und mit diesem Moment waren die Handflächen und Fingerspitzen taub. Andere berichteten aber ähnliches und so ließ er sich nicht weiter beunruhigen. Erst um 5:30 Uhr ereilte El Patrone die Müdigkeit. Normalerweise kam dies bei den Langstreckenfahrten immer schon viel früher. Es passierte auf einem weniger spektakulärem, flachen Streckenabschnitt, wo man so mit 40km/h dahin rollte. Sein Kopf fiel immer herunter und er schüttelte sich jedes Mal wie ein nasser Hund. Michael bemerkte sein "Problem", fuhr neben ihn auf und sagte "Bist müd, gell?". El Patrone würgte nur ein leises "Ja" heraus. "Unterhalten wir uns ein bisschen, dann geht's gleich besser!" meinte Michael. El Patrone hob nur sein Kopf und versuchte sich abermals wachzuschütteln. "Was arbeitest Du denn?"... Mit diesen und unzähligen weiteren Fragen verhalf Michael unserem El Patrone durch das Müdigkeitsloch. Dafür ist er ihm heute noch dankbar. Nach 20Min. war er wieder hellwach. Die 600km hatten sie jetzt schon voll, aber das Ziel war noch 50km entfernt. Das war das kleinere Übel. Gemein waren die 6 "Schweinehügel" mit bis zu 13% und 1,5 km Länge. Es wäre viel einfacher gewesen, die restliche Strecke durch das Tal entlang zu führen. Eine Geheimkontrolle käme hier für Abkürzer genau richtig. Am letzten Schweinehügel wurde noch die "Krone" herausgefahren. El Patrone konnte hier nicht mit eingreifen, aber immerhin blieb sie im Landkreis Fürth :-)

Es war das Härteste was er jemals mit dem Rad bestritten hat. Es kam alles zusammen: die flotte Geschwindigkeit, 18 Stunden Regen, die Kälte, der Hungerast zu Beginn, die kraftlosen, klammen und tauben Finger, die nur noch ein Schalten mit dem Daumen möglich machten, die Nackenschmerzen, durch die angespannte Haltung, er war einfach völlig im Eimer, v. a. aber mental. In jeder Hinsicht ist er über seine Grenzen gegangen...
Im Ziel hielt er sich nur kurz auf, fuhr die eine Stunde Anfahrt mit dem Auto nach Hause und stand nach 3 Stunden Schlaf optisch ganz fit im Keller, um das Rad eines Freundes urlaubstauglich zu machen. Was tut man nicht alles für seine Freunde ;-) Abends wurde der Mengenrekord in unserem fränkischen Stammlokal gebrochen: 1 Megaschnitzel und 2 fränkische Bratwürste mit Kartoffelsalat.

Was muss das nächste Mal besser gemacht werden?

  • Zum einen wird sofort eine optische Radbrille angeschafft. Mit Kontaktlinsen ist das eine Quälerei bei Regenwetter.
  • Das Tempo ist auf 1200km für ihn definitiv nicht mehr drin.

  • Die Übersetzung 34-25 war teilweise grenzwertig, da permanent hohe Geschwindigkeit, nasse Klamotten und etwas Gepäck = 5-6kg mehr an Körper und Rad.

  • Knieschmerzen

  • nur eine Wunde Stelle am Sitzfleisch

Jörg und Michael fahren eine Woche später den nächsten 600er in Südbayern. El Patrone ließ das Rad erst mal über eine Woche im Keller stehen, bis es in den Urlaub ging. Die Nackenschmerzen ließen nur langsam mit Hilfe von Medikamenten nach. Inzwischen schwört er auf Vitamin B. :-)

Die Fakten:
650km, 5980hm, 29,3 Schnitt

Schneemann

3 Kommentare:

map hat gesagt…

..sehr spannend zu lesen, die gschichten vom el patrone und seinen brevets..!
und: es gibt halt doch einige radfahrer, die echt einen an der klatsche haben (man hätte bei so nem wetter die karenzzeit ja mal ausnützen können..)
Bin schon gespannt auf PBP-Bericht!

MudShark hat gesagt…

prima berichte, vor allem auch die praktischen tipps. es ist schon interessant an welche stolpersteine selbst ein erfahrener biker wie el patrone stößt. einmal mehr hat sich gezeigt: das wichtigste ist die mentale stärke.

mein tip: nimm für PBP eventuell doch einmal ein halbes riegelchen im trikot mit. oder besser - eine tube meisterkonzentrat.

b-l-a-u hat gesagt…

Booaahhh, map hat ja mit der Klatsche nicht ganz unrecht ;-)

Trotzdem versinke ich jetzt schon im Respekt.

El! Hut ab! Unglaublich!

Ich weiß gar nicht was ich nach dem PBP-Bericht schreiben soll.
Auf jeden Fall würde ich in Ehrfurcht bei dem nächsten Ausritt schon mal meine Tasche abmontieren. Alles weitere muß ich mir erst überlegen.

Ich wünsche Dir für PBP, daß Du gesund und glücklich wieder in Paris ankommst!

Gruß
b-l-a-u

P.S.: Ein Lob auch an die Autorin für die außerordentlich packende Zusammenfassung. Freu mich auf den PBP-Bericht. Hoffentlich dauert der nicht drei Monate ;-)